Prof. Andreas Herrmann

Vocal Productions


Heinrich Schütz: Musikalische Exequien


SWV 279–281 (op. 7)

Die Musikalischen Exequien sind ein Begräbnisgesang, sie wurden anlässlich der Beerdigung von Fürst Heinrich II. (Reuß-Gera) in der alten Johanniskirche in Gera uraufgeführt.

In der folgende Aufnahme hören Sie die Chapelle Royale Gent unter der Leitung von Philipp Herreweghe.
Sie erhalten hier die Partitur zum Download

komponiert 1635 - Erstausgabe 1636 Dresden

Besetzung 1. SSATTB. Basso continuo; 2. SATB-SATB, Basso continuo ad lib., 3. SATTB-SSB. B. c.

Aufführungsdauer ca. 30 Minuten
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Satzfolge

Teil I: Concert in Form einer teutschen Begräbnis-Messe SWV 279 (Besetzung: Singstimmen SSATTB, Basso continuo)
Intonatio (Tenor): Nacket bin ich von Mutterleibe kommen
Soli (Tenor, Quintus, Bassus): Nacket werde ich wiederum dahinfahren (Hi 1,21b Lut)
Capella: Herr Gott, Vater im Himmel
Soli (Cantus, Sextus, Tenor): Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn (Phil 1,21 Lut/Joh 1,29b Lut)
Capella: Jesu Christe, Gottes Sohn
Soli (Altus, Bassus): Leben wir, so leben wir dem Herren (Röm 14,8 Lut)
Capella: Herr Gott, Heiliger Geist
Intonatio (Tenor): Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab
Soli (Cantus, Sextus, Altus, Tenor): Auf daß alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden (Joh 3,16 Lut)
Capella: Er sprach zu seinem lieben Sohn (Martin Luther, Nun freut euch, lieben Christen g’mein)
Soli (Sextus, Quintus): Das Blut Jesu Christi (1 Joh 1,7b Lut)
Capella: Durch ihn ist uns vergeben (Ludwig Helmbold)
Soli (Cantus, Bassus, Altus): Unser Wandel ist im Himmel (Phil 3,20f Lut)
Capella: Es ist allhier ein Jammertal (Johann Leon)
Soli (Tenor, Quintus): Wenn eure Sünde gleich blutrot wäre (Jes 1,18b Lut)
Capella: Sein Wort, sein Tauf, sein Nachtmahl (Ludwig Helmbold)
Solo (Altus): Gehe hin mein Volk (Jes 26,20 Lut)
Soli (Cantus, Sextus, Bassus): Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand (Weish 3,1-3 Lut)
Solo (Tenor): Herr, wenn ich nur dich habe
Soli (Altus, Tenor, Quintus, Bassus): Wenn mir gleich Leib und Seele verschmacht (Ps 73,25f Lut)
Capella: Er ist das Heil und selig Licht (Martin Luther, Mit Fried und Freud ich fahr dahin)
Soli (Bassus, Bassus-Altus): Unser Leben währet siebenzig Jahr (Ps 90,10a Lut)
Capella: Ach, wie elend ist unser Zeit (Johannes Gigas)
Solo (Tenor): Ich weiß, daß mein Erlöser lebt (Hi 19,25f Lut)
Capella: Weil du vom Tod erstanden bist (Nikolaus Herman)
Soli (Cantus, Altus, Tenor, Bassus, Quintus, Sextus): Herr ich lasse dich nicht du segnest mich denn (1 Mos 32,27b Lut)
Capella: Er sprach zu mir (Martin Luther, Nun freut euch, lieben Christen g’mein)

Teil II: Motette Herr, wenn ich nur dich habe, SWV 280 (Besetzung: 8 Singstimmen doppelchörig SATB/SATB, Basso continuo ad libitum) (Ps 73,25-26 Lut)

Teil III: Canticum B. Simeonis Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, SWV 281 (Besetzung: Favoritchor SSBar, Kapellchor SATTB, Basso continuo) (Lk 2,29–32 Lut)


Text:
Teil I
Nacket bin ich von Mutterleibe kommen.
Nacket werde ich wiederum dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herren sei gelobet.
Herr Gott Vater im Himmel, erbarm dich über uns.
Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn. Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.
Jesu Christe, Gottes Sohn, erbarm dich über uns.
Leben wir, so leben wir dem Herren. Sterben wir, so sterben wir dem Herren, darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herren.
Herr Gott heiliger Geist, erbarm dich über uns.

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab.
Auf daß alle, die an ihn gläuben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Er sprach zu seinem lieben Sohn: die Zeit ist hier zu erbarmen, fahr hin, mein’s Herzens werte Kron und hilf ihn aus der Sünden Not, verwürg für sie den bittern Tod in laß sie mit dir leben.
Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, machet uns rein von allen Sünden.
Durch ihn ist uns vergeben die Sünd, geschenkt das Leben, im Himmel soll’n wir haben, o Gott, wie große Gaben.

Unser Wandel ist im Himmel, von dannen wir auch waten des Heilandes Jesu Christi, des Herren, welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe.
Es ist allhier ein Jammertal, Angst, Not und Trübsal überall, des Bleibens ist ein kleine Zeit, voller Mühseligkeit, und wers bedenkt, ist immer im Streit.
Wenn eure Sünde gleich blutrot wäre, so soll die doch schneeweiß werden. Wenn sie gleich ist wie rosinfarb, soll sie doch wie Wolle werden.
Sein Wort, sein Tauf, sein Nachtmahl dient wider allen Unfall, der Heilge Geist im Glauben lehrt uns darauf vertrauen.
Gehe hin, mein Volk, in eine Kammer, und schleuß die Tür nach dir zu, verbirge dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe.
Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an, aber sie sind in Frieden.

Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erden,
wenn mir gleich Leib und Seele verschmacht, so bist du Gott allzeit meines Herzens Trost und mein Teil.
Er ist das Heil und selig Licht für die Heiden, zu erleuchten, die dich kennen nicht uns zu weiden, er ist seines Volkes Israel der Preis, Ehr, Freud, und Wonne.
Unser Leben währet siebenzig Jahr, und wenn’s hoch kömmt, so sind’s achtzig Jahr, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Müh und Arbeit gewesen.
Ach, wie elend ist unser Zeit allhier auf dieser Erden, gar bald der Menschen darniederleit, wir müssen alle sterben, allhier in diesem Jammertal, auch wenn dirs wohl gelinget.

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erden auferwecken, und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben erden, und werde in meinem Fleisch Gott sehen.
Weil du vom Tod erstanden bist, werd ich im Grab nicht bleiben, mein höchster Trost dein Auffahrt ist, Todsfurcht kannst du vertreiben, denn wo du bist, da komm ich hin, daß ich stets bei dir leb und bin, drum fahr ich hin mit Freuden.
Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Er sprach zu mir: halt dich an mich, es soll dir itzt gelingen, ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen, den Tod verschlingt das Leben mein, da bist du selig worden.

Teil II
Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erden. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmacht, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Teil III
Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast.

Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volks Israel.

Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben, sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach. Sie sind in der Hand des Herren und keine Qual rühret sie. Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben.


Entstehung:
Heinrich Schütz war in Köstritz geboren worden, einem Ort, der zu Herrschaft Reuß Jüngere Linie gehörte, die in Gera residierte. Als reußisches Landeskind muss er nach seiner ersten Italien-Reise mit seinem Landesherrn Heinrich Posthumus Reuß in nähere Berührung gekommen sein, vielleicht bei dessen häufigen Besuchen am Dresdner Hof. Heinrich Posthumus Reuß hatte als frommer Mann sein Ende und seine eigene Beisetzung sorgfältig vorbereitet, indem er u.a. die Bibelworte und Liedverse zusammenstellte, mit denen sein Sarg beschriftet werden sollte. 1635 starb er; die Witwe beauftragte zusammen mit ihren Söhnen Schütz, für Posthumus unter Verwendung ebendieser Sarginschriften die Trauermusik zu komponieren. Die Inschriften bilden den Text des ersten Teils (SWV 279) der in der Zeitspanne zwischen Tod und Beisetzung entstandenen großen Trauermusik, deren zweiter Teil eine doppelchörige Motette über »Herr, wenn ich nur dich habe« (SWV 280) darstellt. Das Gesamtwerk endet mit der fünfstimmigen Motette »Herr, nun lassest du deinen Diener in Friede fahren« (SWV 281), der als zweiter Chor ein Terzett von zwei Sopran- und einer Baßstimme zu¬ gesellt ist, die erlöste Seele des Verstorbenen darstellend, die von zwei Engeln in den Himmel geleitet wird.

Zur Musik:
Schützens »Exequien« gehören zu den überragenden deutschen Trauermusiken überhaupt - in ihrer Architektur, die zunächst eine Architektur des Textes ist (mit Worten des Alten und des Neuen Testaments und Choraltexten), sowie in ihrer anrührenden Ausdrucksintensität, mit der die Bibelworte »in die Music versetzet« wurden. Als Instrumente sind lediglich die Orgel und der Violon, d.h. die große Bassgambe vorgesehen. Für Trauermusiken war das im 17. Jahrhundert weitgehend die Normalbesetzung. Weitere ad libitum eingesetzte Instrumente sind in diesem Fall unangebracht.

Das dreiteilige Werk erfordert für den ersten Teil, das »nach Art einer Lateinischen oder Teutschen Missa auffgesetzte Concert« sechs Solisten (2 Soprane, 1 Alt, zwei Tenöre und 1 Bass) und für die sechsstimmigen »Capella«-Choralstrophen etwa zwei Sänger pro Stimme zusätzlich. Für die doppelchörige Motette des zweiten Teils sind zwei etwa gleichbesetzte Chöre intendiert. Die fünf Stimmen der Motette des letzten Teils sind als »Capella«, also mit mehrfach besetzten Stimmen konzipiert im Unterschied zu den solistischen drei Stimmen der »Duo Seraphim« mit der »Beata Anima«, die nach Schützens Anweisung »in die ferne geordnet« und meist oberhalb des Hauptchors postiert werden. Auch bei diesem Schützwerk ist von ausschlaggebender Bedeutung, dass es heute auf einem hohen Stimmton musiziert wird.

Wirkung:
Auch in den »Musicalischen Exequien« wird die Hintergründigkeit von Tod und Ewigkeit deutlicher spürbar als beispielsweise in Trauermusiken des 18. Jahrhunderts, in denen - oft sehr eindrucksvoll - der Affekt des Schmerzes voll ausgekostet wird. Die »Exequien« sind klar ein Werk für den gottesdienstlichen Vollzug. Am Anfang ist das »Kyrie« der Messe erkennbar. Der mit der Intonation »Also hat Gott die Welt geliebt« beginnende zweite Teil des ersten Satzes hat aber weder Anklänge an das »Gloria« der Messe, noch an das »Dies irae« des Requiems.

Interpretationsvergleich:
Im Folgenden hören Sie eine Aufnahme der English Baroque Soloists unter der Leitung von John Elliot Gardiner.
Bitte formulieren Sie klar die Unterschiede zur Herreweghe-Fassung und senden Sie sie an professor_herrmann@me.com