Prof. Andreas Herrmann

Vocal Productions


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als Beispiel bleiben wir bei der Missa solemnis von Ludwig van Beethoven.


PHASE 3 - VERSTEHEN

Die eigentliche Arbeit am Stoff.
Eine lange Phase

zum Arbeitsziel in Phase 3

Hier muss ein hoher Perfektionsgrad erarbeitet werden.

Erfolgsgrenze von Phase 3
Wenn auch die letzte Abstufung noch offen bleibt, liegt die Schwierigkeit für den Chorleiter in dieser Phase darin, dass es keine richtige Erfolgsgrenze gibt. Man muss so weit kommen wie möglich.

Allerdings kann zu langes Beharren auf einer Stelle, gerade beim stimmlichen Anspruch der Missa solemnis dazu führen, dass die Arbeitsweise kontraproduktiv wird.

Spätestens sobald ich spüre, dass mit einer Maßnahme kein höherer Perfektionsgrad mehr erreicht werden kann, muss ich als Chorleiter dringend die Maßnahme wechseln.

Wechsel und Verschränkung der Maßnahmen sind nötig. Hierzu sei in Erinnerung gerufen, was Behrmann in seinem Buch Chorleitung / Probentechnik zur Phase 3 schreibt.


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Methoden von Phase 3

Die Arbeit der III. Probenphase ist der komplizierteste Teil der Probentechnik.

Nötig sind:
- Die Überlegung und Beschreibung von einzelnen Maßnahmen
und ganz wesentlich
- Auswahl und Abfolge dieser Maßnahmen

Lassen Sie uns zunächst ganz allgemein die Methoden des Wechsels bei den Maßnahmen der Einstudierungsphase 3 betrachten:

A längere - kürzere Übungseinheiten (zB Synkopenketten - schwieriger Akkord)

B höhere - geringere Attraktivität (zB Probe an Ausdruck - Probe an Intonation)

C Wechsel technisch-musikalisch (diesen Wechsel betonen statt verschleiern, zB Tempo nur mechanisch - lineare Intonation wird genau hörbar, neutraler Klang (Tonsilbe) - harmonische Intonation wird besser hörbar)

D komplementär arbeiten - Ablenken (Bei Erfolglosigkeit oder Festsingen:
1. im einfacheren Fall: z.B. Intonationsübungen durch Übungen zur rhythmischen Integration (mit ähnlicher Wirkung!) ersetzen. Oder: Rhythmusübungen durch sprachliche ersetzen.
2. in schwierigeren Fällen ablenken:
a) bei drohendem Scheitern insbesondere von schwierigen Intonationsübungen zurück in den Ausdruck, wieder im musikalischen und textlichen Ausdruckszusammenhang musizieren.
Nicht als „Erlösung“, sondern als Hilfe: von der in der Komposition beabsichtigten Wirkung her wird der Klang vielleicht einleuchtender.
b) umgekehrt: beim Ausarbeiten der musikalischen Darstellung kommt die Probe gelegentlich ins „Schwimmen“, sinkt ins Ungefähre ab. Dann Einsatz von Integrationsübungen, insbesondere von rhythmischen.)

E Wechsel durch geschickte Reihenfolge der Stellen (zB zunächst die in Phase II übrig gebliebenen Stellen bearbeiten, dann im Wechsel echte Schwierigkeiten und labile Stellen. Die Arbeit an labilen Stellen ist am Beginn von Phase II für den Sänger nicht immer gleich einleuchtend. Man „kann es doch schon!“ Ist aber das Ohr durch die Arbeit an echten Schwierigkeiten erst wieder geschärft, so wird ein feineres Nacharbeiten eher möglich sein. Ggf. hier die „absichtliche Panne“: singen lassen, auf dem betreffenden Klang stehenbleiben, Unsauberkeit markieren. Oder: In der musikalischen Darstellung möglichst zuerst zwei bis drei Stellen im Kontrast (so leichter behaltbar), dann mehrere Stellen im Zusammenhang einer Entwicklung oder Folge (so sind sie einleuchtender), erst an dritter Stelle ganz isolierte, einmalige Ausdrucksformen. Oder: Die musikalische Darstellung kann gelegentlich auch schrittweise ausgearbeitet werden, etwa bei Motetten mit kontrastierenden Abschnitten: zuerst den Kontrast der Abschnitte entwickeln (z.B. „erstes Thema forte, energisch, zweites Thema piano, legato schwellend“), dann die Einzelmotive (Einzelthemen) für sich profilieren (z.B. „Akzent auf der dritten Note“, „Diminuendo auf dem letzten Takt“).

F Musikalischer Ausdruck im Wechsel bewußt technisiert - unmittelbar erfasst: (hier zB „technisiert“: mit genauer Beschreibung und Kontrolle der Ausführung („aspiriertes t, verlängertes n, dunkles a“), „unmittelbar“: vormachen oder einfach dirigierend mitreißen.

G Wechsel von Stellen und Übergängen (Phrasen, Entwicklungen, Zusammenhänge - Die Nahtstellen werden oft probentechnisch unterschätzt. Sie sind immer als „Schwierigkeiten“ zu behandeln, auch wenn äußerlich kein Problem vorzuliegen scheint. Werden sie nicht sorgfältig isoliert und profiliert, bleibt das Werk an diesen Stellen labil - sowohl für den Ausdruck wie für die Genauigkeit.

Vorsicht: Kein Wechsel von Maßnahmen der Phase II und Maßnahmen der Phase III !!!
Wenn man schon bei der genaueren Arbeit ist, sollte man nicht mehr in das ungenaue Vorgehen der Phase 2 zurückfallen, dann sinkt die Chor-Moral. Lieber dann ein ganz anderes Stück (oder bei einem längeren Werk wie der Missa solemnis einen anderen Abschnitt) proben, bei dem man dann in einer anderen Einstudierungs-Phase (1, 2 oder 4) beginnen kann. Proben an der Phase 3 ist anstrengend. Bitte planen Sie in einer zweieinhalbstündigen Probe nicht mehr als 45 min für Phase 3 ein.


Aufgabe



Bitte analysieren Sie das "Gloria" der Missa solemnis bezüglich der oben beschrieben Methoden des Wechsels in Phase 3:
- Nennen Sie bitte für jede oben genannten sieben Methoden A-G des Wechsels in Phase III ein bis zwei Beispiele im Gloria und beschreiben Sie dazu jeweils kurz eine konkrete Möglichkeit für den jeweiligen Arbeitsschritt.

Bitte schicken Sie Ihr Ergebnis bis spätestens 18.5.2020 an professor_herrmann@me.com


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